über eine Popularklage

auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit

1. der Art. 2 Nr. 8 und Art. 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zum Schutz der Gesundheit (Gesundheitsschutzgesetz – GSG) vom 20. Dezember 2007 (GVBl S. 919, BayRS 2126-3-UG),

2. der Art. 2 Nr. 8, Art. 3 Abs. 1 Satz 1 und Art. 5 Abs. 1 Nr. 5 des Gesetzes zum Schutz der Gesundheit (Gesundheitsschutzgesetz – GSG) vom 20. Dezember 2007 (GVBl S. 919, BayRS 2126-3-UG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesundheitsschutzgesetzes vom 27. Juli 2009 (GVBl S. 384),

3. der Art. 2 Nr. 8 und Art. 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zum Schutz der Gesundheit (Gesundheitsschutzgesetz – GSG) vom 23. Juli 2010 (GVBl S. 314, BayRS 2126-3-UG)

Gegenstand der Popularklage sind die Regelungen des Gesundheitsschutzgesetzes (GSG) zum Rauchverbot in Gaststätten.

Angegriffen werden die aktuellen, durch Volksentscheid vom 4. Juli 2010 beschlossenen Vorschriften (GSG 2010), die seit August 2010 gelten und ein striktes Rauchverbot in Gaststätten beinhalten. Die Popularklage richtet sich außerdem gegen die früheren, bereits außer Kraft getretenen Regelungen. Dabei handelt es sich zum einen um die ursprüngliche Fassung vom 20. Dezember 2007 (GSG 2007), die von Januar 2008 bis Juli 2009 galt und ebenfalls ein umfassendes Rauchverbot enthielt. Zum anderen war von August 2009 bis Juli 2010 eine weitere Fassung gültig (GSG 2009), nach der getränkegeprägte Gaststätten unter bestimmten Voraussetzungen vom Rauchverbot ausgenommen waren und es den Wirten freigestellt war, das Rauchen in Nebenräumen zu gestatten.

 

II.

1. Mit der Popularklage rügt die Antragstellerin, die laut eigenen Angaben Inhaberin einer „getränkeorientierten Raucherkneipe“ ist, Verstöße gegen Art. 101 BV (allgemeine Handlungsfreiheit einschließlich Berufsfreiheit), Art. 103 Abs. 1 BV (Eigentumsgarantie) und Art. 118 Abs. 1 BV (Gleichheitssatz).

Ein gesetzliches Rauchverbot für Lebensbereiche, die die Bürger freiwillig aufsuchten, habe einen verfassungsrechtlich unzulässigen Zwangsschutz zur Folge. Es sei auch nicht erforderlich, da als weniger einschneidendes und genauso effektives Mittel eine Kennzeichnungspflicht für Kneipen, in denen geraucht werden dürfe, zur Verfügung stehe. Wer sich bewusst und gezielt in die vom Passivrauchen ausgehende Gefahr begebe, müsse nicht geschützt werden. Ein striktes Rauchverbot sei wegen fehlender Ausnahmen für Raucherkneipen in jedem Fall unangemessen. Es fehle auch an einem sicheren Nachweis dafür, dass bestimmte Krankheiten durch Passivrauchen verursacht würden.

2. Der Bayerische Landtag, die Bayerische Staatsregierung und der Beauftragte des der aktuellen Gesetzesfassung zugrunde liegenden Volksbegehrens halten die Popularklage für unzulässig bzw. unbegründet.

 

III.

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat die Popularklage mit Entscheidung vom 14. April 2011 abgewiesen.

  • Soweit sich die Popularklage gegen das Rauchverbot in Gaststätten in der vom 1. August 2009 bis 31. Juli 2010 geltenden Fassung (GSG 2009) richtet, die Ausnahmen für getränkegeprägte Gaststätten und für Nebenräume enthielt, ist sie unter dem Gesichtspunkt der Wiederholung unzulässig.
  • Das strikte Rauchverbot in Gaststätten in der Fassung des ursprünglichen Gesundheitsschutzgesetzes (GSG 2007) und in der derzeit geltenden Fassung (GSG 2010) ist mit der Bayerischen Verfassung vereinbar.

1. Zum GSG 2009:

Der Verfassungsgerichtshof hat sich mit der Verfassungsmäßigkeit des GSG 2009 bereits in seiner Entscheidung vom 25. Juni 2010 ausführlich befasst. Er ist dort zu dem Ergebnis gelangt, dass mit dem grundsätzlichen Rauchverbot in Gaststätten weder die Eigentumsgarantie oder das Grundrecht der freien Berufsausübung der Gaststättenbetreiber noch die allgemeine Handlungs¬freiheit der Raucher verletzt wurde und dass die damals geltenden Ausnahmen für kleine getränkegeprägte Einraumgaststätten und für Nebenräume von Gaststätten nicht gegen den Gleichheits¬satz verstießen. Neue rechtliche Gesichtspunkte oder Tatsachen, die in der Entscheidung vom 25. Juni 2010 noch nicht gewürdigt worden wären, wurden im vorliegenden Popularklageverfahren nicht geltend gemacht. Da seither auch kein grundlegender Wandel der Lebensverhältnisse oder der allgemeinen Rechtsauffassung eingetreten ist, bedarf es keiner erneuten verfassungsrechtlichen Prüfung des GSG 2009.

2. Zum GSG 2007 und zum GSG 2010:

Das Bundesverfassungsgericht und ihm folgend der Verfassungsgerichtshof haben bereits in mehreren Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht gehindert ist, dem Gesundheitsschutz gegenüber den damit beeinträchtigten Freiheitsrechten, insbesondere der Berufsfreiheit der Gastwirte und der Verhaltensfreiheit der Raucher, den Vorrang einzuräumen und ein striktes Rauchverbot in Gaststätten zu verhängen. Die vorliegende Popularklage gibt zu einer anderen verfassungsrechtlichen Beurteilung der angegriffenen Rauchverbotsregelungen keinen Anlass.

a) Dass sich die nicht rauchenden Besucher von Rauchergaststätten aufgrund eigenverantwortlicher Entscheidung der Belastung durch Tabakrauch aussetzen, stellt das gesetzgeberische Anliegen des Gesundheitsschutzes nicht infrage. Denn der freiwillige Besuch solcher Lokale bedeutet typischerweise kein Einverständnis mit einer Gesundheitsgefährdung durch Passiv¬rauchen. Von einer staatlichen Bevormundung oder einem aufgedrängten „Zwangsschutz“ kann keine Rede sein. Da das strikte Rauchverbot auf einen umfassenden Schutz abzielt, hängt seine Verfassungsmäßigkeit auch nicht von dem empirischen Nachweis ab, dass es für Nichtraucher bisher an ausreichenden Möglichkeiten fehle, in Gaststätten rauchfreie Räume zu finden.

Die Annahme des bayerischen Gesetzgebers, dass Passivrauchen eine erhebliche Gesundheitsgefahr für die Bevölkerung darstellt, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der von der Antragstellerin geforderte „sichere Nachweis“ der Verursachung bestimmter Krankheiten musste dafür nicht erbracht werden.

Mit einer bloßen Kennzeichnungspflicht für Rauchergaststätten oder einer verbindlichen Ausweisung abgetrennter Nichtraucherbereiche hätte sich das gesetzgeberische Ziel, die Gefahren durch Passivrauchen in Gaststätten generell auszuschließen und damit auch Nichtrauchern die uneingeschränkte Teilnahme am dort stattfindenden gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, nicht erreichen lassen; zudem hätte sich die Einhaltung solcher Regelungen kaum kontrollieren lassen.

b) Das strikte Rauchverbot in Gaststätten stellt zwar für die Gastwirte einen schwer¬wiegenden Eingriff in die freie Berufsausübung dar, da die daraus möglicherweise resultierenden Umsatzrückgänge zu Einschränkungen oder sogar zur Schließung des Geschäftsbetriebs zwingen können. Dem steht aber gegenüber, dass der Gesetzgeber mit dem Rauchverbot in Gaststätten den grund¬rechtlichen Schutzauftrag aus Art. 100 und 101 BV erfüllt und damit überragend wichtige Gemeinwohlbelange verfolgt. Es liegt hierbei grundsätzlich in seinem Verantwortungsbereich zu entscheiden, ob, mit welchem Schutzniveau und auf welche Weise er Situationen entgegenwirkt, die nach seiner Einschätzung zu Schäden führen können.

Entscheidet sich der Gesetzgeber, wie in den angegriffenen Regelungen des ursprünglichen und des derzeitigen Gesundheitsschutzgesetzes geschehen, für ein alle Gaststätten umfassendes Rauchverbot, so darf er dieses Regelungskonzept konsequent verfolgen und muss sich nicht auf Sonderregelungen etwa für getränkegeprägte Einraumgaststätten („Eckkneipen“) oder für solche Gaststätten einlassen, bei denen das Rauchen Teil des gastronomischen Konzepts ist. Eine stärkere Belastung von Inhabern bestimmter Arten von Gaststätten – bis hin zur Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz – ist angesichts der für alle Gaststätten geltenden Regelung durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt, weshalb für solche Fälle weder Ausnahme- noch Härteregelungen erforderlich sind.

c) Die allgemeine Handlungsfreiheit der Raucher ist durch das strikte Rauchverbot in Gaststätten ebenfalls nicht verletzt. Es ist hinsichtlich der Auswirkungen auf Raucher nicht unverhältnismäßig. Da die angegriffenen Vorschriften das Rauchen nicht generell untersagen, sondern nur in den Innenräumen von Gaststätten und damit an öffentlich zugänglichen Orten, an denen andere Personen dem Passivrauchen ausgesetzt sind, werden die Raucher damit weder unzulässig bevormundet noch wird ihnen ein ungewollter Schutz vor Selbst¬gefährdung aufgedrängt. Rauchwillige Personen werden auch nicht von der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen, zumal sie die Möglichkeit haben, die vom Rauchverbot erfassten Innenräume zum Rauchen vorübergehend zu verlassen. Der damit verbundene Aufwand ist ihnen angesichts der andernfalls drohenden Gesundheitsgefährdung unbeteiligter Dritter in jedem Fall zumutbar.

 

 

Bayerischer Verfassungsgerichtshof